«Persönlich im Hof zu Wil»: TV-Experte Prof. Dr. Ulrich Schmid und Freiheitskämpferin Natallia Hersche
Von Krieg und Frieden im «Persönlich im Hof zu Wil»
Der russische Angriff auf die Ukraine und die Hoffnung auf Frieden und Demokratie. Unter der Organisation und Moderation von Roland P. Poschung, Botschafter der Stadt Wil, ist es der Volkshochschule Wil gelungen zwei aussergewöhnliche Persönlichkeiten im Hof zu Wil zu begrüssen. Noch gebe es keine Rezepte für Frieden. Der Grossaufmarsch der Besuchenden belohnte die eindrücklichen Ausführungen aus dem Leben von Prof. Dr. Ulrich Schmid und Natallia Hersche mit viel Applaus und Hochachtung!
Spannungsfeld Russland, Ukraine, Weissrussland und kein Ende. Von links:
Prof. Dr. Ulrich Schmid, Daniel Schönenberger, Leiter Volkshochschule Wil,
Natallia Hersche und Moderator Roland P. Poschung, Botschafter der Stadt Wil.
Foto: Helena Hohermuth
Interessant waren diverse Hintergrundinformationen. So wurde bekannt, dass Ulrich Schmid bei seinen TV-Auftritten als Experte kein Honorar bekommt, im besten Fall eine Flasche Wein. Bei den angesprochenen, heiklen Themen wurde zwischendurch auch kurz gelacht. Besonders die Episode von der Heimreise von der Ukraine nach Zürich zeigte das Menschliche auf. Zum Test ging Schmid an den Bahnschalter und verlangte eine Fahrkarte nach Zürich Hauptbahnhof. Tatsächlich wurde ihm diese per Hand geschrieben auch ausgestellt. Bis zur Schweizer Grenzkontrolle akzeptierten alle Zugkontrolleure in den bereisten Ländern den unüblichen Schein. Nach langem Zögern und Staunen wurde das Papier durch den SBB-Angestellten geknipst. Wenig später kam der Schaffner zurück und fragte, ob er den speziellen Fahrschein behalten dürfe. Ein solch aussergewöhnliches Ticket würde ihm in seiner persönlichen Sammlung noch fehlen.
Für Natallia Hersche waren der Glauben und die Hoffnung auf Freilassung ganz wichtig. Sie las auch die Bücher «Archipel Gulag»vom russischen Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn im Gefängnis, ehe die Werke plötzlich verschwanden. Archipel Gulag befasste sich mit der Härte in Stalins Konzentrationslagern in Sibirien.
Demokratie ist kein Geschenk für immer, man muss dafür kämpfen
Es war im Herbst 2020 als Natallia Hersche ihre urspüngliche Heimat besuchte, sie war mit einem Schweizer verheiratet und lebte im Rheintal. Am 19. September 2020 nahm sie an einem Marsch gegen die Wahlfälschung durch den Diktator Alexander Lukaschenko teil. In der Folge wurde sie verhaftet und wegen Widerstands gegen einen Polizisten zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Mit Schlafentzug wurde sie gequält und weiter gefoltert. In der Gefangenschaft hätte sie Uniformen nähen sollen, doch sie hat sich geweigert. Mit Einzelhaft wurde sie dafür während 40 Tagen in einem ungeheizten, kleinen Raum gebüsst. Auf zwei Betonsockel konnte sie sitzen, aber viel schlimmer war das Bett aus zwei Brettern. Auf Matratzen und Bettzeug hatte sie zu verzichten. Lediglich ein Geschirrtuch diente ihr als Decke. Es war schrecklich, nur die Füsse oder einen Arm konnte sie damit bedecken. Weil sie unschuldig in Haft war, verneinte sie die Unterschrift bei einem Begnadigungsgesuch. Nach 17 Monaten im Gefängnis kam Natallia Hersche durch die Bemühungen von der Schweizer Diplomatie und der Wiler Nationalrätin Barbara Gysi schliesslich vorzeitig frei. Noch heute leidet sie unter der Vergangenheit in Weissrussland. Am 28. Oktober 2022 wurde sie von der Zeitschrift Beobachter mit dem «Prix Courage» geehrt.
Starkes Engagement in der Verständigung von Konfliktparteien
Ein imposanter Lebenslauf: Prof. Dr. Ulrich Schmid, der unter anderem bekannt ist als TV-SRF-Experte für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, ist seit 2007 Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. Von 2010 bis 2014 war er Dekan der Kulturwissenschaftlichen Abteilung, seit 2019 ist er Prorektor. Von 2005 bis 2007 war er Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, von 2003 bis 2004 SNF-Förderungsprofessor an der Universität Bern, von 2000 bis 2003 Assistenzprofessor an der Universität Basel. 2010 war er Gastforscher an der Universität Oslo, 1995 Visiting Fellow an der Harvard University. 2004 und 1997 absolvierte er Forschungsaufenthalte in Warschau und Krakau. 1998 war er Gastdozent an der Linguistischen Universität in Kiev. 1985 bis 1991 Studium der Germanistik, Slavistik und Politischen Wissenschaften in Zürich, Heidelberg und Leningrad. Seit 1994 ist er ständiger freier Mitarbeiter im Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 2011 koordiniert er ein internationales Forschungsprojekt zum Regionalismus in der Ukraine. Seine wichtigsten Publikationen sind Ukraine. Contested Nationhood in a European Context (2019), De profundis. Vom Scheitern der russischen Revolution (Hg., 2017), Technologien der Seele. Die Verfertigung von Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur (2015), Schwert, Kreuz und Adler. Die Ästhetik des nationalistischen Diskurses in Polen (1926−1939) (Hg., 2014), Lew Tolstoi (2010), Literaturtheorien des 20. Jahrhunderts (Hg., 2010), Russische Medientheorien (Hg., 2005), Russische Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts (Hg., 2003), Ichentwürfe. Russische Autobiographien zwischen Avvakum und Herzen (2000), Fedor Sologub. Werk und Kontext (1995).
Der Vormittag im Hof war sehr emotional. Im Anschluss an die einfühlsam geführte Gesprächsrunde durften die Gäste ergänzende Fragen stellen und beim Apéro kam man sich persönlich näher. Unter den zahlreich erschienen Gästen war zudem Nationalrätin Barbara Gysi, die neu für den Kanton St. Gallen als Ständerätin kandidieren will. Gysi war an der Freilassung und dem Empfang von Natallia Hersche in der Schweiz mitbeteiligt.
«Persönlich im Hof zu Wil» im 2023
Die nächsten Gesprächsrunden im «Persönlich im Hof zu Wil» sind am Sonntag, 5. Februar 2023 mit der berühmten Malerin Jennifer Gehr aus Flawil sowie Remo Forrer, TV-Sieger «The Voice of Switzerland» aus dem Toggenburg, und am Sonntag, 19. März 2023, mit der St. Gallerin Nathalie Wappler, Direktorin vom Schweizer Radio & Fernsehen, sowie Henriette Engbersen, Headhunterin bei Level Consulting und bekannt als ehemalige SRF-Korrespondentin in London. (HH)
---
Der Krieg durch Russland in der Ukraine ist ein grosses Elend. Prof. Dr.
Ulrich Schmid im Dialog mit Moderator Roland P. Poschung. Foto: MuA.ch
Vorschau im Archiv
Eine hochkarätige Besetzung von Ehrengästen im Hof zu Wil
«Persönlich im Hof zu Wil», die beliebte 28. Talkrunde von der Volkshochschule Wil, von Sonntag, 27. November 2022, 10.00 Uhr, darf 277 Tage nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, als eine eindrückliche, emotionale Veranstaltung bezeichnet werden. Moderator Roland P. Poschung, Botschafter der Stadt Wil, konnte als ersten Ehrengast Prof. Dr. Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen gewinnen. Unter den geladenen Gästen war zudem Nationalrätin Barbara Gysi, die neu als Ständerätin für den Kanton St. Gallen kandidiert, sie war bei der Freilassung von Natallia Hersche mitbeteiligt.
Schmid ist oft in der SRF-Tagesschau oder im «10 vor 10» als Experte zum russischen Krieg in der Ukraine zu sehen und er hat ein enormes Wissen durch seine Erfahrungen vor Ort sowie durch seine wertvollen Kontakte. Seit 2011 koordiniert er ein internationales Forschungsprojekt zum Regionalismus in der Ukraine. Er hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht. Zu seinen beruflichen Stationen zählen Kiew, Warschau, Krakau, Leningrad, Oslo, Bochum, Heidelberg, Bern, Basel, Zürich und St. Gallen.
Unschuldig im Gefängnis. Die Demokratieaktivistin Natallia Hersche, Prix
Courage-Gewinnerin, im Vorgespräch mit Moderator Roland P. Poschung.
Foto: Helena Hohermuth
Für die Demokratie 17 Monate ins Gefängnis
Mit Prof. Dr. Ulrich Schmid ist Natallia Hersche, die Demokratieaktivistin, die in Weissrussland bei einer Demonstration gegen die Wahlfälschung durch Diktator Alexander Lukaschenko gefangen und 17 Monate eingesperrt und gefoltert wurde, die zweite Persönlichkeit, die aus ihrem eindrücklichen Leben berichten wird. Hersche litt als politische Gefangene körperlich und psychisch, was bis heute andauert. Auf eine Begnadigung verzichtete sie bewusst, weil sie unschuldig war. Sie ist Doppelbürgerin, stammt ursprünglich aus Belarus und heiratete später einen Schweizer. Durch die Schweizer Diplomatie und mit Kontakten von der Wiler Nationalrätin Barbara Gysi kam sie frei. Am 28. Oktober 2022 wurde sie von der Zeitschrift Beobachter mit dem «Prix Courage 2022», mit einem Preisgeld von 15'000 Franken, geehrt.
Anmeldung über Volkshochschule Wil
Der Eintritt beträgt Franken 20.--, inkl. Apéro. Anmeldungen bitte an Volkshochschule Wil, Marktgasse 88, 9500 Wil, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! / www.vhs-wil.ch, Telefon Sekretariat 079 199 10 44.