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Neue Freiheit ohne Flugplan und Agenda

Charly Kistler baut sein drittes Flugzeug auf Kulturonline.ch

Die umfunktionierte Garage dient Karl «Charly» Kistler als praktische RV12-Bausatz-Werkstatt. Das saubere Nieten macht ihm besonderen Spass und gibt Sicherheit. (c) Foto: ROPO/MuA/Kulturonline.ch

Karl «Charly» Kistler, Ex-CEO und Chefpilot der Edelweiss Air, aktiv in Pension
Der Thurgauer Karl «Charly» Kistler (66) gehört zu den berühmtesten Piloten der Schweiz. Als CEO der Edelweiss Air, ein Tochterunternehmen der Lufthansa, führte er 500 Mitarbeitende und hatte als Captain 19‘300 Flugstunden absolviert. Seit April 2017 ist er im Ruhestand. Nun baut er sich sein drittes Flugzeug!
 
Ein unvergesslicher Moment: Captain Kistler sass konzentriert im Cockpit, sein letzter Landeanflug begann. Am 13. April 2017 landete der Airbus A330 der Edelweiss Air von den Malediven kommend auf dem Airport Zürich.
 
Bewusster leben
Seine Ehefrau Christina durfte exklusiv mitfliegen, stolz blickte sie hinter ihm auf die Landebahn, wo Feuerwehrfahrzeuge zum feierlichen Abspritzen bereitstanden. Charly Kistler rückblickend: «Es war mir ein Wunsch meine Gattin bei diesem letzten EDW-Flug dabei zu haben. Es sollte ein Dankeschön für die wertvolle 43-jährige Beziehung und Unterstützung, für die Erziehung der Kinder Oliver (39) und Marian (37) sowie für die Sorge um das intakte Familienleben sein.»
Nach einer Feier mit der Edelweiss-Besatzung und Freunden zog sich Kistler zurück. Aber nichts von Beine hochlagern und Faulenzen. Kistler wusste schon früh, was er nun in seiner dritten Lebensphase mit Engagement und Freude anpacken wollte.
Durch die Pensionierung galt es zuerst das intensivere Zusammenleben mit der Ehefrau harmonisch zu gestalten. «Wichtig ist, dass wir uns gegenseitig Freiräume lassen. Mein Mann hat inzwischen auch mehr „Musikgehör“ für meine Anliegen. Schön ist, dass wir länger schlafen können und nicht mehr vom Flugplan abhängig sind. Zudem liegt ein Apéro bereits um 18 Uhr drin, wo wir in Ruhe den Tag Revue passieren lassen können und Neues absprechen», sagt Christina Kistler. Und der «Hausmann» meint: «Ich geniesse nun mein Leben ohne Flugplan und Agenda, dabei habe ich Freiwilligenarbeit bewusst reduziert, um vermehrt Zeit für meine Frau, Kinder und Enkel zu haben. Vermissen tue ich nicht das Pilotieren von Linienmaschinen, jedoch die Kontakte zu den Menschen von der Arbeit, seien es die Mitarbeitenden oder Passagiere.»
 
Aller guten Dinge sind 3
Bereits früh, noch zu seiner Aktivzeit bei Linienflügen und im Management, baute er sich ein erstes Flächenflugzeug. Die kleine, zweiplätzige Kitfox3 von Denny, eine US-Firma, die für ihren Bausatz bekannt war, heute aber nicht mehr existiert, hatte einen 80-PS-Motor und konnte während 150 Minuten in der Luft sein. Der Erstflug war im Jahr 2000. «Später baute ich mir einen Kleinhubschrauber, ein CH7-Modell vom italienischen Unternehmen Helisport aus Turin, welcher maximal 150 kg Zuladung hat und mit vollem Tank 140 Minuten in der Luft sein kann. Dieser Erstflug war im 2010. Um Platz für mein nächstes „Baby“ zu schaffen verkaufte ich die Kitfox3.»
Vor wenigen Monaten wurde eine grosse Paketladung aus den USA nach Fehraltorf geliefert, wo Kistler mit seiner Frau Christina und der bald 5-jährigen Hündin Ivy wohnen. In der umfunktionierten Garage war alles für den Bausatz vom zweiplätzigen Flächenflugzeug RV12 von Vans Aircraft vorbereitet. «Diese Maschine wird einst 100 PS liefern, mehr Zuladung haben und eine Flugzeit von 5 Stunden haben», so Kistler und damit will er in Europa herumfliegen.
 
Unter Gleichgesinnten
Mit dem Älterwerden und seiner Pensionierung in einer hochqualifizierten Leaderposition hat sich Kistler früh auseinandergesetzt: «Schon neben dem Job waren mir Hobbies als Ausgleich und als Motivation zum angespannten Berufsleben wichtig. Mit der Informatik und dem Flugzeugbau habe ich mich intensiv befasst und wurde dadurch Bau- und Testflugberater sowie Koordinator für Helikopter bei der Experimental Aviation of Switzerland (EAS). Dadurch halte ich Kontakt zu Gleichgesinnten und bin so stets auf dem neusten technischen Stand.»
Das Älterwerden ist für Kistler eine Tatsache und eine Gerechtigkeit für alle: «Jedes Jahr werden wir ein Jahr älter und für uns alle wird eines Tages Schluss sein. Es ist nicht wichtig, was wir haben, sondern, was wir tun. Glücklich sein können wir nur im Augenblick. Wir sollten darum jeden Tag geniessen und nur das machen, was uns und anderen Freude bereitet.»
 
Fliegen ist keine Selbstverständlichkeit
Charly Kistler als CEO und Chefpilot im Cockpit auf Kulturonline.ch
Sein geliebter Arbeitsplatz: Charly Kistler im Cockpit von Edelweiss Air.

«Eigentlich ist der Mensch ja nicht für die Lüfte geschaffen, aber die heutige Technik macht es möglich, dass täglich Millionen von Menschen in Flugzeuge einsteigen. Angst vor dem Fliegen hatte ich nie, aber Respekt.»
Teamarbeit sei mehr wert als das Einzelkämpfertum. Klare Informationen, ein offener Austausch, umfassende Aufmerksamkeit, Disziplin, Wachsamkeit und Verantwortung seien entscheidend, um in der Fliegerei Erfolg zu haben und sicher starten und landen zu können.
Im persönlichen Gespräch nimmt Kistler auch Stellung zum Thema Sterben: «Wir müssen alle einmal sterben, zum Glück! Ich hoffe, dass ich die letzte Reise dann gelassen und mit viel innerer Ruhe antreten kann.» Erst kürzlich musste er sich mit dem Sterben im Familienkreis auseinandersetzen.
 
Praktisch in jeder freien Minute …
… sieht man Kistler gegenwärtig bei der Aufbauarbeit. Der Bausatz umfasst ein Regiebuch, wo die Bausatzelemente Schritt für Schritt markiert und nummeriert sind. Schon nach wenigen Wochen waren erste Verbindungsteile fast fertiggestellt.
Mit den wärmeren Tagen lässt es sich Kistler jedoch nicht nehmen die Natur mit dem Heli CH7 aus der Vogelperspektive zu bestaunen. In einem VW-Transporter, der nur wenige Meter neben seinem Haus unter einem Scheunendach steht, ist der Helikopter fix verstaut und transportfähig. Wenige Kilometer von seinem Wohnort entfernt befindet sich der kleine Flugplatz Speck, von wo er starten und landen kann.
«Es ist für mich ein Privileg, dass ich gesund bin, mich meinem wöchentlichen Powerwalking widmen und noch immer fliegen sowie die 42 Schweizer Gebirgslandeplätze auskundschaften darf. Einige dieser Helikopterflüge halte ich detailliert auf meiner selbstkreierten Homepage mit Fotos und Kommentaren fest und teile sie mit meinen Followern», schwärmt Kistler, der selber schon über 1380 Gebirgslandungen absolvierte. Dabei will er nächstens ein kleines Schiebefenster im CH7 einbauen, um Spiegelungen während dem Fotografieren zu vermeiden und eine Topqualität von Aufnahmen sicherzustellen. Typisch Kistler: Ein Mann für Perfektion!
 
Eine steile Karriere
Die Karriere in der Fliegerei nahm für Karl Kistler ihren Anfang im Modellflugzeugbau. Er lernte Elektromonteur und fand Freude am Fallschirmspringen. «Körperliche und psychische Herausforderungen haben mich immer fasziniert. Meinen Erstabsprung machte ich in Ecuvillens, bald darauf folgte die Fliegerische Vorschulung (FVS, heute Sphair), danach absolvierte ich 1972 die Fallschirmgrenadier-Rekrutenschule in Losone. Diese anspruchsvolle Ausbildung entpuppte sich für mich als erste Kaderschule», erzählt Kistler, der danach die Pilotenlizenz auf Sportflugzeugen erlangte. 1978 wurde er Fluglehrer und begann die Ausbildung zum Berufspiloten. Zwei Jahre später wurde er bei Crossair Captain, Instruktor und Prüfungsexperte beim Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL).
 
Wenn Kamele die Landebahn kreuzen …
… dann ist Achtsamkeit gefragt. Während zehn Jahren engagierte sich Kistler im Auftrag der Balair in Jerusalem. Der Einsatz für die United Nations (UN) als Delegationsleiter und Chefpilot zeigte sich als Herausforderung: «Mit einer Fokker 27, damals noch ohne GPS, musste man alle 14 Tage die UNO-Beobachter im Sinai ersetzen. Im Gegenlicht über der Wüste zu fliegen war nicht einfach, geschweige den Flugplatz dort zu finden. Zu Beginn musste man einen Überflug machen, um sicher zu sein, dass sich auf der Landebahn kein Kamel befindet.»
Von 1996 bis 2001 wirkte Kistler beim Aufbau der Edelweiss Air mit: Er wurde zum Chefpiloten, Leiter Operation (COO) und Instruktor auf Airbus A320/A330 befördert. Ab 2002 bis August 2014 amtierte er als Geschäftsführer (CEO). Nach dem 13. April 2017 wurde er pensioniert.
 
Links
www.kistleronline.ch
www.flyedelweiss.com/
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Zur Autorin Ingrid Noll
Ingrid Noll, geboren 1935 in Shanghai, studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist Mutter dreier erwachsener Kinder und vierfache Grossmutter. Nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt sofort zu Bestsellern wurden. ›Die Häupter meiner Lieben‹ wurde mit dem Glauser-Preis ausgezeichnet und, wie andere ihrer Romane, auch erfolgreich verfilmt.
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